Ein ganz normaler Samstag in Wien

Ich kapituliere. Nicht vor den Rechtsextremen in Wien, sondern vor der Tatsache, dass die Polizei überwiegend Sympathisant derselben zu sein scheint ist. Anders kann man sich einfach nicht erklären, warum eine Exekutive dem identitären Aufmarsch den Gürtel mit Pfefferspray freisprengt. Und angesichts der Teilnehmerzahl waren es heute auch nur die Einsatzkräfte, die demonstriert haben.

Gegen Mittag begann die Kundgebung der Offensive gegen Rechts vor dem Meiselmarkt (U3 Johnstraße). Das Polizeiaufgebot war da schon sichtlich beeindruckend – ein Betreuungsverhältnis, auf das es der 15. normalerweise nicht mal als Jahressumme bringt. Kriminalisierung von AntifaschistInnen? A geh wo. Die zweite Gegendemonstration traf sich ein bisschen später nur ein paar Dutzend Meter Luftlinie weiter, vor der Kirche am Kardinal-Rauscher-Platz. Es dauerte nicht lang und die Exekutive sah auch hier nach dem Rechten. Relativ flott setzten sich die DemonstrantInnen über die Holochergasse Richtung Hütteldorferstraße in Bewegung, um sich den Identitären im Märzpark auf ihrer Route entgegenzustellen. Das sah man exekutivseitig wiederum offenbar nicht so gern und so entstanden bald zwei Kessel auf Hütteldorferstraße – einer auf Höhe Markgraf-Rüdiger-Gasse, ein anderer ein Stück weiter oben bei der Costagasse, Verhaftungen inklusive.

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Kessel Markgraf-Rüdiger-Straße
x Hütteldorfer Straße

Die antifaschistischen DemonstrantInnen sollten also festgesetzt werden, um den „Identitären“ den unbehelligten Aufmarsch zu ermöglichen, der ohnehin nur durch internationale Unterstützung einer werden konnte. Laut eigenen Angaben empfingen sie Gäste aus Deutschland, Frankreich, Italien und Slowenien.

Die Beamten im unteren Kessel wirkten dementsprechend auch eher freudig motiviert als besorgt. Auf Ansprache schüttelte einer deutungsschwanger den Pfefferspray und teilte einer Gruppe AktivistInnen mit: „Kommt nur her, ihr seid die Ersten!“ Als es wegen kurzfristig wärmerer Temperaturen den Befehl zum Helm absetzen gab und das Reizstoffsprühgerät weggesteckt wurde, entspannte sich die Szenerie etwas. Immer wieder zogen kleinere Gruppen Uniformierter ab, während die AktivistInnen guter Stimmung in der Mitte der Kreuzung ausharrten.

Kurz vor 15.00 starteten die „Identitären“ vom Märzpark, querten unter lautstarkem Protest aus dem unteren Kessel die Hütteldorfer Straße und wurden von den Einsatzkräften in die Zinckgasse geleitet. Etwa zeitgleich wanderte eine offenbar in Vergessenheit geratene OgR-Demo in der Märzstraße Richtung Gürtel, an eben jener Zinckgasse vorbei, blockierte die Route der „Identitären“ und zwang sie zum Rückzug. Die Exekutive versuchte die Rechtsextremen nun über den Gürtel Richtung Westbahnhof umzuleiten und löste im Zuge dessen auch den Kessel an der Markgraf-Rüdiger-Straße auf. Ecke Märzstraße standen sich beide Gruppen erneut gegenüber.

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Polizeiautofriedhof Märzstraße

Die Märzstraße selbst wurde indes zu einem Polizeiautofriedhof mit Absperrung zum Gürtel. Aber schon eine Parallelstraße weiter war der Weg wieder frei. Dort bot sich wieder eine interessante Kulisse: Die eher mickrige Anzahl von ein paar hundert „Identitären“ versteckte sich mittlerweile hinter einer Kette von Einsatzkräften in Riot-Montur, links wie rechts gleichermaßen flankiert vom polizeilichen Schutztrupp. So weit, so bedrohlich. Dass ihnen der Weg schließlich mit ein paar Litern Pfefferspray freigeschwemmt wurde, ist dann nur mehr eine logische Konsequenz einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Machtdemonstration einer teils überforderten Polizei. Das hat sicher auch mit dem Polizeiapparat, mit Ausbildung, Training und Einsatzleitung zu tun, aber nicht nur. Es ist auch der ideologische Hintergrund, der solche Exzesse möglich werden lässt.

In Pfefferspray-induzierter Stop-&-Go-Manier drückte die Exekutive den johlenden Aufmarsch der „Identitären“ noch bis zum Westbahnhof durch, wo sie ihre Abschlusskundgebung hielten und anschließend in die U-Bahn eskortiert wurden.

In der Presseaussendung der LPD Wien kann man später lesen, dass „tätliche Attacken auf Beamte“ den massiven, aber *individuellen* Einsatz von Pfefferspray nötig gemacht hatten. Das obige Material und Bilder wie dieses sprechen eine andere Sprache. Auch die sonst nicht für überschwängliches Mitleid mit gepfefferten AktivistInnen bekannte Presse, konnte vor Ort derlei nicht beobachten.

Ein interessantes Bild bot sich später allerdings dem stellvertretenden Bezirksvorsteher Alexander Spritzendorfer in der Josefstadt: Lange nach dem verkürzten, angemeldeten Aufmarsch, um Mitternacht, zogen 150 „Identitäre“ unter Polizeischutz gröhlend und fahnenschwenkend durch die Laudongasse.

Wie also umgehen mit einer Polizei, die, ob aus Erlebnisorientierung, Korpsgeist, Sympathie, Unfähigkeit oder Überforderung, in einer derartigen Auseinandersetzung über ihre Taten Stellung bezieht?

Die „Identitären“ mögen (ideologisch) gefährlich sein und sollten aus diesem Grund beobachtet werden, sie sind in ihrer Anzahl aber, auch heute, überschaubar. Letzteres gilt allerdings nicht für die hiesige Exekutive.

Fotos

2 Kommentare

  1. Guter Artikel, bis auf einen Punkt: die „Kesselung“ in der Hütteldorfer Straße war bewusst in Kauf genommen, um diese Straße, die die „Identitären“ als Demonstrationsstrecke angemeldet hatten, zu blockieren. Den Aktivist*innen vor Ort war vollkommen bewusst, dass sie von der Polizei umringt sein würden, während die Blockade steht.

    Als Beleg dafür, dass es unter der (Wiener) Polizei Sympathisanten für Faschisten oder gleich richtige Faschisten gibt, taugt dieses Beispiel nur schlecht.

    1. Wars auch nicht. Nur ein Beispiel der Machtdemo oder warum muss ma die paar „Lockvögel“ mit einem Vielfachen an Beamten bedienen? Außerdem ändert ja der Ansatz der AktivistInnen nicht den Ansatz der Polizei, oder?

      Der „Beleg“, wenn ma so will, ist viel eher das Durchdrücken der Route.

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